Hausmeerschweinchen gehören zu den geselligsten Tieren und es gibt keinen echten Meerschweinchenfreund, der seinen munteren Nager zu lebenslanger Einzelhaft verurteilt.
Professor Norbert Sachser von der Universität Münster ist so fasziniert vom Sozialleben der Hausmeerschweinchen, dass er diese Tiere seit Jahrzehnten studiert. Besonders die männlichen Nager, „Böcke“ genannt, erregten die Aufmerksamkeit des Verhaltensbiologen: Sie sind in der Lage, auf relativ engem Raum in Frieden zusammenzuleben. Sachser macht für diese bei Nagetieren außergewöhnliche Verträglichkeit, die beim Wildmeerschweinchen nicht anzutreffen ist, drei Wesensmerkmale des Hausmeerschweinchens verantwortlich: Erstens eine große Toleranz gegenüber Artgenossen, die wahrscheinlich im Laufe der Haustierwerdung erworben wurde, zweitens die Fähigkeit, untereinander stabile soziale Bindungen aufzubauen und drittens das Vermögen, vielschichtige, individuelle Dominanzbeziehungen innerhalb der Gruppe herzustellen und zu respektieren.
Besonders für die soziale Entwicklung männlicher Jungtiere ist es ausschlaggebend, wie und mit wem sie aufgewachsen sind. Denn das typische, friedfertige Verhalten der Meerschweinchen ist nicht angeboren, es muss erlernt werden. Nur in Gruppen, in denen neben den Weibchen auch erwachsene, dominante Böcke leben, wird ein junges Männchen zum verträglichen Tier, denn es muss sich von klein auf unterordnen und Strategien entwickeln, Aggressionen aus dem Weg zu gehen. Böcke, die ihre Kindheit nur mit Weibchen verbracht haben, sind später nicht mehr in der Lage, sich in eine gemischtgeschlechtliche Gruppe zu integrieren. Ständig fordern sie andere Männchen heraus. Sachser notierte bei diesen „Unsozialen“ Stresshormonkonzentrationen, die bis zu 400 Prozent über dem Normalwert lagen.
Auch das Leben in reinen Bockgruppen ist bemerkenswert: Sachser stellte fest, dass bei einer Gruppengröße von nur zwei Tieren das harmonischste Miteinander herrschte. Aber auch größere Männchengruppen leben weitestgehend in Frieden. Nur dürfen so gehaltene Meerschweinchen niemals Kontakt zu einem Weibchen bekommen, sonst brechen sofort erbitterte Kämpfe unter den vormals befreundeten Herren aus. Zudem bemerkte Sachser, dass es immer wieder Meerschweinmänner gab, die sich genau wie Weibchen benahmen. Die sogenannten „Pseudoweibchen“ genossen ein hohes Ansehen in ihrer Gruppe, wurden von allen umworben und waren nie in aggressive Handlungen verwickelt. Durch diese Alternativstrategie zum männchentypischen Verhalten sicherten sie sich ihr Wohlergehen in reiner Männergesellschaft. Setzte Sachser aber ein echtes Weibchen in die Gruppe, zeigten die Pseudoweibchen sofort ihr wahres Gesicht: Unverzüglich umwarben sie das Weibchen und verteidigten es so heftig, dass sie sich als einzige fortpflanzen konnten.
Spätestens nach diesen Forschungsergebnissen kann niemand mehr sagen, Meerschweinchen seien langweilige oder gar dumme Tiere!
(Text: H. Kienle * Fotos: M. Babcock und H. Kienle)